Ukraine und Krim im Sommer 2003

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Es war Mitte Juni und die Cargozwillinge schon lange urlaubsreif. Die stressige Fahrerei mit den Fensterzügen machte uns restlos fertig.
Deshalb sollte es endlich wieder Richtung Ukraine gehen, wohin auch sonst?! Also rein in den Zug zum Frankfurter Flughafen und von dort
mit einer YAK 42 der Dniproavia nach Dnepropetrovsk. Leider war man beim Einchecken nicht mehr so kulant wie ein Jahr zuvor. Jedes Kilo
Übergepäck wurde in Rechnung gestellt. Dafür befand man sich wieder zuverlässig nach ca. 3 Std. in einer ganz anderen Welt. Auch die
Einreiseformalitäten erfolgten sehr zügig. Noch ein kurzer Blick vom Zöllner ins Gepäck, die Frage was man in der Ukraine so machen wolle
und abschließend der Wunsch eines schönen Aufenthalts. Ja, man könnte fast sagen die Kontrollen werden langweilig.

Bauernhaus in Borodajevka

Dies erklärte uns jedenfalls Sergej, den wir mit der altbekannten ChME3-1736
beim Rangieren antrafen. Bei diesem Gedanken lief uns doch ein kalter Schauer
den Rücken herunter, da hier jeder kreuz und quer mit Sack und Pack über die
Gleise läuft. Als diese Eindrücke abends noch einmal im "Kapitoshka"
verarbeitetet wurden setzten sich ein paar Einheimische mit an unseren Tisch und
man unterhielt sich über dies und das. Mitten im Gespräch zog plötzlich einer ein
Gänseküken aus der Tasche. Nun galt unsere volle Aufmerksamkeit dem
gefiederten Freund. Für eine Hopfenkaltschale würde er uns das Tier überlassen
und sogar noch einen Zwilling besorgen. Kurz darauf waren wir Viehhalter.

Rico und Maik

Sommerküche

Das traf sich gut, denn am nächsten Tag stand ein Besuch auf dem Lande an, dachten wir. Doch die Damen
erklärten uns wieder einmal für bekloppt, denn wer versorgt unsere Schützlinge nun die ganze Nacht?
Glücklicherweise hatte Maiks Freundin Sveta damit Erfahrung und so konnten die Kleinen einer artgerechten
Haltung bei Olgas Oma in Borodajevka entgegensehen. Obwohl an der Hauptstrasse Dnepropetrovsk - Kiew
gelegen, schien in diesem Dorf die Zeit völlig stehen geblieben zu sein. Der einzig erkennbare Fortschritt war
die Elektrizität. Man fühlte sich in die russischen Märchen aus der Flimmerstunde des DDR-Fernsehens
hineinversetzt. Das alte Mütterchen weinte bei der Begrüßung obwohl sie uns noch nie gesehen hatte. Dieser
Besuch beeindruckte uns sehr, so kann man auch im 21.Jahrhundert leben. Die Meckerer sollten alle einmal für
ein paar Monate hierher verbannt werden, witzelten wir auf der Rückfahrt.

Dann wurden wieder Koffer gepackt, denn die Vorbereitung des Krim-Urlaubs stand jetzt auf dem Programm. Dieses Mal wollten wir nach
Evpatoria, gute Sandstrände und die letzten Gotha-Straßenbahnwagen soll es dort geben. So war das Angenehme mit dem Nützlichen
verbunden! Gegen unseren Vorschlag gab es, wie zu erwarten, keine Proteste. Wir konnten starten. Mit dem Nachtzug verließen wir
Dnepropetrovsk in Richtung Schwarzes Meer.
Am Ziel trauten die Cargozwillinge ihren Augen kaum, denn da standen die erwarteten Fahrzeuge tatsächlich an
der Endhaltestelle am Bahnhof! Die Beherrschung nicht gleich zu verlieren und drauflos zu knipsen fiel schwer,
musste doch erst das Urlaubsquartier bezogen werden. Das hatten wir schon im Vorfeld organisiert, die
Adresse dem Taxichauffeur gezeigt und ab ging die Fahrt im völlig ausgelasteten "Wolga" GAZ 24. Doch die
Gesichter wurden immer länger. Schon ewig hatten wir die Schwarzmeermetropole hinter uns gelassen als der
Wagen stoppte. Nicht sonderlich begeistert inspizierten wir die Ferienwohnungen. Erst die Strandbesichtung
konnte uns zum bleiben in Mirny bewegen. Feinster Sand und wenig Urlauber versprachen Erholung pur. Auch
die kleine Karina kann sich hier mit Schaufel und Förmchen die Zeit vertreiben.
Karina am Strand
Am nächsten Morgen wurde erst einmal alles Nötige auf dem Basar besorgt. Die Preise waren hier etwas höher, aber für uns immer noch
erträglich. Doch Babynahrung und Windeln waren in der ehemaligen Militärstadt nicht zu erstehen. Deshalb kam uns der Vorschlag der Mädels
gerade recht am Nachmittag nach Evpatoria zufahren, mit dem Unterschied das wir garantiert nichts einkaufen wollten.
Kaum angekommen begaben wir uns auf die Suche nach der in der Nähe liegenden Pioniereisenbahn.
Einschlägige Literatur gibt über deren Betrieb keine Aufklärung. Den Grund dafür konnten wir schnell feststellen.
Das ehemalige Areal war fast besenrein abgeräumt, lediglich einen Kilometerstein konnten wir als Beweis
einstiger Existenz ablichten. Man konnte nur hoffen, unsere weiteren Exkursionen nehmen einen besseren
Ausgang, deshalb gleich ab zum Bahnhof. Und da waren sie endlich, die Gothawagen! Auf dieser Linie fuhren
sie immer gekuppelt mit Trieb- und Steuerwagen. Nach ein paar ersten Fotos besuchten wir ein Restaurant, von
dessen Freiluftbereich konnte man herrlich die wendenden Einheiten an der Endstation beobachten. Da
schmeckte das Bierchen gleich noch besser und so bemerkten wir nicht wie weit die Zeit fortgeschritten war.
Gothawagen in Evpatoria
Jetzt aber schnell bezahlt und mit dem nächstbesten Taxi zu dem vereinbarten Treffpunkt. Dort standen schon die Damen böse dreinblickend
und mit Tüten bepackt. Zurück in Mirny wollten wir am Abend noch die örtliche Diskothek "Chance" antesten. Der Laden versprühte einen
Hauch von real - existierendem Sozialismus, auch die Preise waren dementsprechend moderat. Eine der Bedienungen war gleichzeitig auch
DJ, spielte jedoch meist die gleichen CDs runter. Über all dem bunten Treiben wachte der "Administrator". Diese kräftige ältere Frau schritt
immer ein, wenn es ihr zu wild wurde. Das passierte, als sich ein Kerl hinters Pult schmuggelte und die Masse mit Techno - Musik bedröhnte.
Kurzerhand wurde diese kulturell wertvolle Einrichtung zum Stammlokal erklärt.
Nach einigen Tagen am Strand konnte uns keiner eine erneute Exkursion verwehren. Um alle Ziele zu ereichen
charterten wir den ganzen Tag ein Taxi zum Sonderpreis. Auf den Wunsch als erstes die Strassenbahn in
Molotshnoje anzufahren, reagierte der Fahrer mit Unverständnis. Von einem derartigem Verkehrsmittel im
Nachbarort hat er noch nie etwas gehört. Wir liessen nicht ab und ein Kollege bestätigte unsere Aussage. Am
Eingang des Dorfes angehalten lächelte er noch triumphierend, doch schon der erste befragte Einwohner wies
den Weg zum Strand! Der kleinste Straßenbahnbetrieb der Welt war ereicht. Auf 800 Meter Streckenlänge
werden hier die Sanatoriumgäste zum kühlen Nass befördert. Dies bewältigen zwei Gotha-Triebwagen in
Doppeltraktion. Der Betrieb läuft verständlicherweise nur in der Saison. Aufgrund des trockenen Klimas und
einer Strecke weitab vom normalen Straßenverkehr befinden sich die Fahrzeuge in gutem Zustand.
Straßenbahn Molochnoe
Bei einem Frühstücks-Kaffee am Endhaltestellenkiosk versuchten wir das Unfassbare zu verstehen, wie lange
werden diese beiden Wagen wohl hier noch verkehren? Unser großes Tagespensum zwang danach leider zum
Aufbruch. Wir wollten nun den anderen Endpunkt der ehemaligen Pioniereisenbahn Evparotia inspizieren. Aber
vergebens, außer der alten Trasse keine Überreste. Die Gründlichkeit beim Rückbau der Strecke konnten wir
kaum glauben, denn sie war so gar nicht typisch für dieses Land. Der nun folgende Programmpunkt enthielt
endlich mal wieder richtige Eisenbahn, Evpatroia-Tovarny hieß das Ziel. Auf dem Weg dahin präsentierte uns
der Fahrer die schöne Stadt. Er könnte uns auch einmal abends zum Ausgehen hierher bringen, alles zum
Sondertarif versteht sich. Nur seine Kollegen sollten davon nichts erfahren.
ChME3-2701 in Evpatoria Tovarny
Werkloks in Evpatoria Tovarny Doch jetzt galt es erst einmal die rangierende ChME3 abzulichten, deren Lokführer
uns etwas merkwürdig ansah. Danach ging es über die holprige Ladestrasse auf
die andere Seite des Bahnhofs. Beim Anblick des Gegenverkehrs brachen wir in
Begeisterung aus, ein weißer GAZ 21 hopste mit Vollgas und ständiger Lichthupe
in unsere Richtung. Fahrer und Beifahrer wirbelten im Innenraum umher. Als das
sonderbare Gefährt auf gleicher Höhe war verstummten die Cargozwillinge sehr
schnell. Im alten Wolga befanden sich hoch dekorierte Insassen und der Einsatz
sollte wohl uns vermeintlichen Spionen gelten. Doch niemand von denen ahnte,
dass wir in einem Taxi "flüchteten".
Tatra KT4 in Evpatoria
Maik und Rico nutzten jetzt die Gunst der Stunde und knipsten schnell die fotogen abgestellten Werklokomotiven. Aber danach nichts wie weg!
Nach dieser Aktion hatte man sich schon ein kühles Blondes verdient, bevor man sich den Rest des Tages voll und ganz dem weniger
stressigen Straßenbahnbetrieb widmete. Unseren Damen gefiel der Vorschlag eines abendlichen Evpatoria - Ausfluges sehr gut, und so
wurde vom Angebot des Taxifahrers bald Gebrauch gemacht.
Strandgetümmel Gleich nach Karinas Mittagsschlaf brachen wir auf, denn auch tagsüber war buntes
Treiben in der Stadt garantiert. Besonders in Strandnähe wurden Waren feil
geboten und luden Cafes zum Verweilen ein. Noch war keine Hauptsaison, aber
der Kurort war bereits gut besucht. Dies konnte man besonders am Wasser
merken. Vor lauter Sonnenanbetern war kaum ein Flecken Sand zu sehen. Kein
Vergleich zu Mirny, wir hatten also alles richtig gemacht. Die Cargozwillinge wollten
auch eine Vorstellung im Delphinarium genießen. Das fand keinerlei Anklang bei
unseren Begleiterinnen, sie zogen einen Basarbesuch vor.
Promenade in Evpatoria
Im Delphinarium Schade, denn somit verpassten Olga und Sveta eine wunderbare Show. Schöne
Aufnahmen gelangen uns, auch ohne überteuerte Fotoerlaubnis. Am Ende der
Veranstaltung wurde ein von den Tieren gemaltes Bild versteigert. Einige
neureiche Russen nutzten die Gelegenheit um sich darzustellen, das Delphinfutter
war für die nächste Zeit gesichert. Mittlerweile war die Dämmerung angebrochen,
tausend Lichter flammten auf. Nun wurde eine der Freiluftdiskos aufgesucht.
Später brachte uns der Taxifahrer zum vereinbarten Zeitpunkt wieder nach Hause.
Der Krimaufenthalt neigte sich dem Ende zu.
Promenade bei Nacht
Noch eine Exkursion zu den „Gothaern“ musste drin sein, besonders die Linie zum „Novi Pljash“ bedurfte unserer Aufmerksamkeit. Jede
Saison könnte dort die letzte sein! Die kurze Strecke wurde komplett abgegangen und dabei einige Filme belichtet. Am Mittag trafen wir im
Stadtzentrum auf den ehemaligen Zwickauer Triebwagen 950. Die deutschen Piktogramme waren immer noch erkennbar und er fiel durch
seine relativ intakte Außenhaut auf. Mit einem zufriedenem Grinsen trafen wir in Mirny ein. Es folgte ein abschließender Besuch im „Chance“.
Dort hatte dieser "Kerl", den wir Aufgrund seines Outfits DJ Mütze tauften, grünes Licht zum Auflegen bekommen. Dem Administratror war
aufgefallen, dass den Deutschen dessen Performence gefällt. Am nächsten Tag ging es um diese Zeit schon nach Verchnedneprovsk.
Do svidanija Krim!
Die verbliebene Zeit nutzen wir für letzte Besorgungen. Dazu ist die Oblast- Hauptstadt Dnepropetrovsk mit ihren unzähligen Basaren am
besten geeignet. Ein Bekannter hatte außerdem Überaschenderweise einen Besuch des Depot Dnepropetrovsk Passagierskiy organisiert.
Ein freundlicher Mitarbeiter führte uns durch das Gelände. Im Lokschuppen stand ein merkwürdiges Fahrzeug - eine als ChME3T bezeichnete
Lok, die aber gar keine sein konnte. Das „T“ in der Baureihenbezeichnung steht für elektrische Bremse, aber genau dieses markante Bauteil
fehlte hier. Wir hatten den Beweis für eine lang gehegte Vermutung. Die Loknummern werden bei Bedarf einfach getauscht. Unser Freund bat
keine weiteren Fragen zu stellen, man könnte uns für Spione halten.
Angler am Dnepr
Nun war es langsam an der Zeit Abschied zu nehmen. Aber ein versprochener
Besuch musste noch absolviert werden. Bei Anglern am Dnepr sollten wir
unbedingt vorbeischauen. Frisch gebratener Fisch wurde den Gästen gereicht,
nicht ohne das obligatorische Gläschen Samogon (Selbstgebrannter Wodka).
Nebenbei präsentierte man uns noch die Vorräte für weniger fangreiche Tage. In
den Schubladen einer umherstehenden Werkbank waren jeweils ein Hase und ein
Huhn untergebracht. Reichlich amüsiert trafen wir nun die restlichen
Vorbereitungen zur Abreise.
Flugzeugdenkmal in Verchnedneprovsk

Das Flugzeug brachte uns vom Dnepr an den Rhein und kurz darauf fanden wir uns im Führerstand der 143er wieder.
Zirka 4 Wochen, weg wie Nichts...

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